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Geschichtsdaten zum GLS in Deggendorf vor dem Palais im Stadtpark, eingeweiht am 10.10.2025

Der „Gebeugte Leere Stuhl“ erinnert an die vielen, auch namenlosen Opfer der nationalsozialistischen Rassenpolitik in Deggendorf:
- die ermordeten jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen
- die getöteten Frauen und Mädchen aus dem Elisabethenheim
- die Patienten und Patientinnen der Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen, die durch Hungerdiät und Transport in die Tötungsanstalt Hartheim umgebracht wurden
- die Männer und Frauen, die durch zwangsweise Sterilisierung lebenslang geschädigt wurden
- die Überlebenden aus den Konzentrationslagern, die nach der Befreiung an den Folgen der Drangsalierungen in den KZ und ihre dadurch geschwächte Gesundheit im DP-Lager Deggendorf zwischen 1945 und 1949 starben.

Die Bedeutung des Standorts des „Gebeugten Leeren Stuhls“

Die Skulptur „Gebeugter Leerer Stuhl“ steht an einem symbolischen Ort – vor dem „Palais im Stadtpark“, der neuen soziokulturellen Mitte in Deggendorf. Dieser Gebäudekomplex, als Kreisirrenanstalt erbaut, 1935 zur Kaserne umfunktioniert, wurde 1945 zur Zufluchtsstätte für viele Frauen und Männer, die die Gräuel der Konzentrationslager überlebt hatten. Schon bis August 1945 waren 700 aus dem Konzentrationslager Theresienstadt von der Roten Armee befreite Juden in Deggendorf eingetroffen. Im September 1945 wurde für sie in der Alten Kaserne ein DP-Lager, ein Lager für Displaced Persons, eröffnet. Bis zum 31. Dezember 1945 waren schon 1350 jüdische Männer, Frauen und Kinder in dem Lager untergebracht; später waren es zeitweilig zwischen 1500 und 2000, die die Judenvernichtung der Nationalsozialisten überlebt hatten. Das Lager unterstand der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), ab 1947 der IRO (International Refugee Organisation).
In Deggendorf lebten jetzt erheblich mehr Juden als je zuvor in seiner Geschichte. Es fanden jüdische Hochzeiten statt, und es wurden hier wieder jüdische Kinder geboren, was vom Überlebenswillen derjenigen zeugte, die die Hölle auf Erden durchlitten hatten. Waren es 1945 erst zwei, wurden 1946 im DP-Lager 61 Neugeborene gezählt – 12 Prozent aller 502 Geburten in Deggendorf. Insgesamt erblickten in diesem Lager, das bis 15. Juni 1949 bestand, 225 jüdische Kinder das Licht der Welt. Zu den hier Geborenen gehört z.B. die bekannte Münchner Buchhändlerin Rachel Salamander.
Das Lager existierte getrennt von der Stadt mit eigener Selbstverwaltung, Rechtsprechung und Polizei, eigenem Geld, eigenen Lebensmittelkarten, eigener ärztlicher Versorgung (einschließlich eines Hospitals und einer Apotheke), eigenen Bildungseinrichtungen (vom Kindergarten über Volksschule, Talmud-Thora-Schule, Berufsschule bis zu einer höheren Lehranstalt und einer Volksuniversität für Erwachsene sowie einer Bibliothek mit 1700 Bänden), eigener Zeitung in jiddischer, deutscher und englischer Sprache, einer eigenen Theatergruppe, dem Sportverein Kadima und einem Altersheim. Im Lager lebte u.a. der 1947 verstorbene Schriftsteller, Jurist, Journalist und SPD-Politiker Dr. Richard Treitel, der aus Theresienstadt befreit worden war. 1946 wirkte er als Ankläger in der Deggendorfer Spruchkammer und einige Monate als ihr Vorsitzender. Zu den ersten Bewohnern des Lagers gehörte die kürzlich verstorbene Margot Friedländer.

Das DP-Lager in der streng bewachten Alten Kaserne und die übrige Stadt waren getrennte Welten, zwischen denen es kaum Verbindungen gab. Das Lagergelände war exterritorial, die Stadtverwaltung hatte dort keinen Einfluss. Die im Lager wohnenden Juden, die durch glückliche Umstände den Holocaust überlebt hatten und auf ihre Ausreise nach Israel oder in die USA warteten – die wenigsten wollten in Deutschland bleiben oder in ihre jetzt von Kommunisten beherrschten Heimatländer zurück –, betrachteten die Deggendorfer, die die Verfolgung „ihrer“ Juden nicht verhindert hatten, voller Misstrauen. Die Einheimischen begegneten den mehrheitlich aus Ost- bzw. Ostmitteleuropa stammenden Fremden ihrerseits mit riesigen Vorbehalten und überkommenen antisemitischen Klischees. Sie sahen in ihnen Konkurrenten um den knapp bemessenen Wohnraum und in der Versorgung. Nur einige wenige Deggendorfer – im Juni 1948 etwa 60 Männer –, die als Arbeiter und Handwerker oder sogar als Musiker oder Lehrer im DP-Lager tätig waren, hatten Kontakt zu den Lagerbewohnern. Das betraf auch 150 deutsche Frauen, die als Putzfrauen, Bedienungskräfte und Kindermädchen dort arbeiteten. Das trug zum Abbau der gegenseitigen Vorurteile bei. Die psychologische Wand zwischen den traumatisierten Juden und der einheimischen Bevölkerung konnte damals aber noch nicht überwunden werden.
Viele der im Lager Lebenden waren so geschwächt, dass sie an Krankheiten und Entkräftung starben. Unter ihnen waren auch einige Kinder. Sie wurden auf dem Deggendorfer Friedhof an verschiedenen Stellen beigesetzt. Nach Umbettung der sterblichen Überreste aller im DP-Lager Verstorbenen auf einen besonderen jüdischen Friedhof hinter der Aussegnungshalle gibt es seit 1989 für sie eine würdige Gedenkstätte.

Im DP-Lager an den Folgen der KZ-Haft in den Jahren 1945 bis 1949 verstorben und auf dem Jüdischen Friedhof in Deggendorf bestattet

Name, Beruf Vorname Geburtsdatum und -ort Sterbetag
Böhm (Kaufm. Angestellter) Bernhard 04.12.1881 Buchatz 08.09.1947
Boms (Pferdehändler) Leon 16.08.1921 Łódź 17.01.1947
Band Nahame 21.10.1944 Bialystok 10.12.1946
Breslauer (Malerin) Rosa 17.05.1871 Berlin 11.04.1947
Fainariu Harry 25.02.1947 Deggendorf 01.03.1947
Falatycki Jehndis Totgeburt 03.11.1946
Falk (Schneider) Aron 13.10.1910 14.11.1946
Farkocy Marion 04.09.1946 Deggendorf 26.12.1946
Feldhändler Lena 23.08.1946 Salzburg 02.01.1947
Frey Martin 08.04.1886 Pasicka, Oberschlesien 22.11.1945
Geballe Minna 26.07.1877 Rogasen (Posen) 29.10.1945
Gerinstein Morfynei 08.02.1922 Duaro, kam aus KZ 05.05.1945
Glasner Anonyma Totgeburt 20.10.1946
Goldberg Nuchem 13.2.1947 Deggendorf 27.2.1947
Gundermann (Mützenmacher) Elias 18.02.1878 Graetz (Kreis Posen) 26.8.1945
Dr. Gutfeld, (Ärztin) Luba, geb. Katzenelson 17.08.1900 Wilna 25.7.1946
Dr. Hermanns (Ärztin) Elisabeth Marianne 06.09.1910 Bonn 26.1.1947
Hirschbruck Elise 11.08.1885 Friedeburg bei Berlin 4.8.1945
Hirschel (Fleischermeister) Jakob Georg 08.03.1872 Rawitsch 15.11.1948
Holzmann Chaja Sura 18.11.1943 Leningrad 22.03.1947
Jacobs, geb. Hannach Betty 24.09.1888 Breslau 31.10.1946
Kochmann, (Kaufmann) Siegfried 31.07.1875 Logutschutz 29.07.1945
Manasse (Kaufmann) Siegmund 15.03.1871 Wangerin, Kreis Regenwalde 26.10.1945
Meriseil Michael 08.02.1922 Auarez (Kaukasus) 11.5.1945
Müller, geb. Ballin Henriette Rosalie 30.07.1880 Ditzum 6.12.1948
Natan (Bäckermeister) Samuel 17.02.1873 Bad Wildungen 30.1.1948
Osowski Knabe 17.10.1946 Deggendorf 17.10.1946
Pfeffer, geb. Eisenstädt Betty 05.07.1892 Zempelburg 11.01.1947
Popper Fawis 28.11.1944 04.10.1947
Rosenthal, geb. Silbermann Antonie 04.05.1877 Cosel 06.03.1946
Rosenthal (Händler) Salma 25.05.1917 (aus Nürnberg zu Besuch) 06.02.1948
Rotschild Berta 02.07.1872 Meisenheim 08.03.1946
Scharf Isak 13.05.1946 Zamość, Polen 11.03.1947
Schubert Hendy 72 Jahre alt Ungarn 13.08.1947
Schweitzer Jakob 03.08.1909 Kebze (Polen)
gest. in Sanatorium Hausstein
07.06.1945
Seidel (Matrose) Moses 05.06.1925 01.06.1947
Sneper Arie 15.11.1919 29.06.1947
Sterenzys Helene 18.03.1906; gest. Altdorf b. Landau/Isar 16.01.1947
Stux, geb. Spieler Stefanie 12.04.1892 Freystadt 27.06.1946
Tannenbaum, geb. Rosenbach Johanna 8.12.1875 Hof 18.03.1946
Treitel (Dr. jur., Rechtsanwalt) Richard 27.10.1879 Betsche 13.02.1947
Uhlemann, geb. Simmel Elisabeth Minna 31.12.1892 Münsterberg 07.11.1949
Walter Mathilde 28.6.1873 Salzkotten 04.07.1946
Waschitz Felizia 30.05.1946 Deggendorf 31.05.1946
Wolf (Kaufmann) Alex 25.07.1873 Schwintlochowitz 29.08.1947

Die nationalsozialistische Judenverfolgung

in Deggendorf

Deggendorf hatte eine lange antisemitische und antijudaistische Tradition, ausgehend von einem Pogrom im Jahre 1338, bei dem alle Juden der Stadt wegen eines angeblichen Hostienfrevels ermordet wurden. Die Bluttat wurde anschließend jahrhundertelang bis 1991 durch eine Wallfahrt, die „Deggendorfer Gnad“ gerechtfertigt. Über fünf Jahrhunderte gab es keine jüdischen Bewohner in Deggendorf. Erst seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wagten einzelne jüdische Familien eine Ansiedlung in Deggendorf. Immer hatten sie mit antisemitischen Vorurteilen und Schikanen zu rechnen. Mit maximal 17 Personen (so auch im Jahre 1933) war die Zahl der in Deggendorf gemeldeten Juden nie sehr groß. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auch in Deggendorf knüpften diese an die überkommenen antijüdischen Zerrbilder an und verstärkten sie durch Boykottmaßnahmen, die zur Aufgabe der drei jüdischen Geschäfte führten. Die Zahl der jüdischen Bewohner ging infolgedessen auf 10 im Jahre 1939 und 8 im Jahre 1941 zurück, die drei Familien angehörten. Aus jeder Familie gelang nur jeweils einem Mitglied in den dreißiger Jahren die Emigration ins Ausland.

Von den 1942 in Deggendorf noch lebenden jüdischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen, an deren letztem Wohnsitz am 2. Oktober 2012 Stolpersteine verlegt wurden, fielen der Vernichtungspolitik des NS-Staates zum Opfer:

Ilse Lauchheimer, geb.3.4.1921 in Deggendorf, zuletzt wohnhaft Oberer Stadtplatz 13, deportiert am 3.4.1942, Schicksal unbekannt

Julius Isidor Lauchheimer, geb. 18.6.1877 in Schopfloch in Mittelfranken, Kaufmann, zuletzt wohnhaft Oberer Stadtplatz 13, „Schutzhaft“ 10.-12.11.1938 im Landgerichtsgefängnis Deggendorf,
12. – 20.11. 1938 KZ Dachau, Geschäftsschließung und Zwangsverkauf des Hauses, deportiert am 3.4.1942, Schicksal unbekannt

Klementine Lauchheimer, geb. 18.11. 1896 in Neudenau (bei Mosbach in Baden), 15.2.1937 Heirat mit Julius Lauchheimer, zuletzt wohnhaft Oberer Stadtplatz 13, deportiert am 3.4.1942, Schicksal unbekannt

Emma Roederer, geb. 15.2.1885 in Cham, zuletzt wohnhaft Oberer Stadtplatz 13, deportiert am 29. Mai 1942 nach Regensburg, Schäffnerstr. 2, am 23.9.1942 nach Theresienstadt, am 18.4.1944 Auschwitz, dort 1944 ermordet

Leopold Roederer, geb. 12.4.1876 in Schmieheim, Landratsamt Ettenheim, in Baden, Kaufmann, zuletzt wohnhaft Oberer Stadtplatz 13, „Schutzhaft“ 10.-12.11.1938 im Landgerichtsgefängnis Deggendorf, 12. – 20.11. 1938 KZ Dachau, Geschäftsschließung
und Zwangsverkauf des Hauses, deportiert am 29. Mai 1942 nach Regensburg, Schäffnerstr. 2, am 23.9.1942 nach Theresienstadt, 26.1.1944 dort verstorben

Heinrich Scharf, geb. 2.7.1880 in Kolomea/Galizien (damals Österreich, heute Kolomyja in der Ukraine), Kaufmann, wohnhaft zuletzt in Deggendorf, Pferdemarkt 12, „Schutzhaft“ 10.- 12.11.1938 im Landgerichtsgefängnis Deggendorf, 12. – 20.11. 1938 KZ Dachau, deportiert am 3.4.1942, Schicksal unbekannt

Paula Scharf, geb. 20.10.1896 in Georgensmünd, Kreis Schwabach, wohnhaft zuletzt in Deggendorf, Pferdemarkt 12, deportiert am 3.4.1942, Schicksal unbekannt

Regina Scharf, geb. 23.10.1931 in Deggendorf, wohnhaft zuletzt in Deggendorf, Pferdemarkt 12, deportiert am 3.4.1942, Schicksal unbekannt

Zwei weitere jüdische Frauen, die in Deggendorf geboren wurden, aber die Stadt schon vor 1933 verlassen hatten, fielen ebenfalls dem NS-Terror zum Opfer:

Daniela Holzinger, geb. Neuburger, am 28.4.1889 als erstes jüdisches Kind in Deggendorf als Tochter des Versicherungsagenten Adolf Neuburger geboren, verheiratet mit Ottmar Holzinger, Kaufmann aus Regensburg, zuletzt wohnhaft in Regensburg, Weißenburgstr. 25. In der Reichspogromnacht 1938 verwüsteten SS-Leute ihre Wohnung und trieben das Ehepaar nur notdürftig bekleidet auf die Straße. 27.1.1939 zwangsweiser Hausverkauf, deportiert am 23.9.1942 nach Theresienstadt, 5.9.1944 dort verstorben

Gerda Moos, geb. Stern, geb. 13.2.1913 in Deggendorf, ging am 7.8.1933 nach Brighton in England, heiratete später ihren Cousin Kurt Moos und lebte in den Niederlanden, wurde 1942 nach Auschwitz deportiert und kam dort um.

Sterilisation und Euthanasie

Deggendorf war auch von den Auswirkungen der verbrecherischen, menschenfeindlichen Gesundheitspolitik der Nationalsozialisten betroffen. Geistig und körperlich Behinderte sowie Erbkranke aus Deggendorf wurden der Zwangssterilisation unterzogen, die in den Krankenhäusern von Plattling und Passau durchgeführt wurde. In der Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen wurden mindestens 365 Männer und 122 Frauen zwangssterilisiert.
Zielte die NS-Gesundheits- und Rassenpolitik anfangs auf die Verhinderung erbkranken Nachwuchses, ging es seit dem Beginn des Überfalls auf Polen aus ideologischen und wirtschaftlichen Gründen um die massenhafte Tötung der unheilbar Kranken. In Mainkofen wurden diese ausgesondert, in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz geschafft und dort vergast. Fünf Transporte mit insgesamt 623 Personen (181 Frauen und 442 Männer) wurden vom 28.10.1940 bis zum 4.7.1941 auf diesen Leidensweg geschickt.
Nachdem diese T-4-Aktion – T 4 ist die Abkürzung für die Tiergartenstraße 4 in Berlin, wo die Zentrale der Tötungsaktion ihren Sitz hatte – wegen des Protests des Bischofs Galen aus Münster eingestellt wurde, hörte das Sterben der Kranken jedoch nicht auf. In Mainkofen wurde es durch unterlassene medizinische Hilfeleistung bei Erkrankungen und vor allem durch systematische Hungerrationen für die nicht Arbeitsfähigen und die dadurch hervorgerufene Entkräftung verstärkt. 762 Insassen wurden Opfer dieses Vorgehens der Anstaltsleitung. Die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Anstaltsgeschichte ließ lange auf sich warten. Besonders der ehemalige Krankenhausdirektor Gerhard Schneider hat sich dafür engagiert. Im Oktober 2014 wurde eine würdige Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie auf dem ehemaligen Friedhofsgelände der Anstalt eingeweiht.
Am 1. September 1941 wurden die Pfleglinge des städtischen Elisabethenheims in die Heil- und Pflegeanstalten in Mainkofen und Regensburg abtransportiert, was für viele von ihnen den Tod bedeutete. Der Abtransport begann früh 7 Uhr und verlief, wie die Stadtverwaltung befriedigt feststellte, in Ruhe und Ordnung, obwohl vielen Pfleglingen der Abschied von dem ihnen lieb und zur zweiten Heimat gewordenen Elisabethenheim Deggendorf schwer fiel. Sie hatten immerhin fünf, zehn oder gar mehr Jahre hier verbracht. Obwohl das Elisabethenheim städtisch war, stammten die meisten seiner Bewohner nicht aus Deggendorf, sondern aus ganz Niederbayern und der Oberpfalz, einschließlich der der Bayerischen Ostmark zugeschlagenen böhmischen Gebiete. Einige kamen auch aus Oberbayern. Nur vierzehn von den 180 nach Regensburg und Mainkofen verlegten Frauen stammten aus Deggendorf und den heute dazu gehörenden Ortsteilen Deggenau, Mietraching, Schaching und Seebach, weitere 14 waren im Territorium des heutigen Landkreises Deggendorf zu Hause. Die meisten waren Frauen der Geburtsjahrgänge von 1848 bis 1922. Elf Mädchen waren zwischen sechs und neunzehn Jahren alt.

Die Räumung des Heimes geschah gegen den Willen der Stadt, aber nicht, weil ihr das Schicksal der Heimbewohnerinnen am Herzen gelegen hätte, sondern weil sie dadurch eine Einnahmequelle verlor. Dass eine solche massenhafte Verlegung sich negativ auf den psychischen Gesundheitszustand der Kranken auswirken musste, spielte keine Rolle.
Von den 119 nach Regensburg geschafften Frauen und Mädchen starben 74 bis Kriegsende. 38 hatten Glück und wurden zu unterschiedlichen Zeiten entlassen. Inwiefern sie und die sieben Kranken, die noch in eine andere Anstalt verlegt wurden, bereits sterbenskrank waren und ihre Entlassung kaum überlebten, ist nicht bekannt.
Von den 61 nach Mainkofen Gebrachten starben 41. Dort war die Sterblichkeit besonders hoch. Von September bis Jahresende 1941 starben elf der aus dem Elisabethenheim Gekommenen. 1942 waren es 17 und 1943 neun. Lediglich elf von ihnen erlebten mit Sicherheit das Kriegsende. Von den neun überwiegend noch 1941 Entlassenen ist das weitere Schicksal unbekannt. Fünf von ihnen stammten aus der Deggendorfer Region, so dass anzunehmen ist, dass sie von Angehörigen nach Hause geholt und dadurch vor Schlimmerem bewahrt wurden.
Seit Oktober 2012 erinnert eine Gedenktafel im Garten des ehemaligen Elisabethenheims an die Opfer der NS-Gesundheitspolitik.
Nicht nur die 1941 aus dem Elisabethenheim abtransportierten Frauen und Mädchen zählten zu den Opfern. Auch Pfleglinge, die schon in vorhergehenden Jahren aus dem Elisabethenheim in die Heil- und Pflegeanstalt verlegt worden waren, gehören zu den in der T-4-Aktion Getöteten, so etwa die 1900 geborene Katharina Botschafter aus Kühbach, die 1924 bis 1930 im Elisabethenheim lebte, dann in die Heil- und Pflegeanstalt Deggendorf und schließlich nach Mainkofen überstellt wurde. Am 6. Mai 1941 wurde sie von dort zusammen mit 260 Männern und 60 Frauen in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz abtransportiert.

Möge der „Gebeugte Leere Stuhl“ uns immer daran erinnern, dass das, was in Deggendorf und eben nicht nur hier während der NS-Zeit geschah, sich nicht zufällig ereignete, sondern auf die verbrecherische Rassenideologie der Nationalsozialisten und ihren absoluten Herrschaftsanspruch, auf ihren Hass gegenüber allen Andersartigen und Andersdenkenden zurückzuführen war. Möge er uns mahnen, allen Ansätzen einer rassistischen, antisemitischen, völkerverhetzenden, fremdenfeindlichen und intoleranten Ideologie und Politik entgegenzutreten und unsere Demokratie entschlossen gegen sie zu verteidigen. Vertreter solcher menschenverachtenden Auffassungen dürfen nie wieder den Zugriff zur Macht bekommen. Das ist eine unumstößliche Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland.

Opfer des Nationalsozialistischen Regimes

in Deggendorf und Umgebung

Ermordete jüdische BürgerInnen in Deggendorf

Name Geburtsjahr / -ort Wohnort vor 1939-1042 Deportation / Transport (Datum / Route) Todesdatum / -ort (wenn bekannt) Quellen
Daniela (Ella) Holzinger, geb. Neuberger 1889, Deggendorf zuletzt Regensburg
(Wohnanschrift in Regensburg)
Deportation: 23. Sept. 1942 — ab Nürnberg / Würzburg / Regensburg nach Theresienstadt (Ghetto) † 5. Sep. 1944 — Theresienstadt (Ghetto). Bundesarchiv (Gedenkbucheintrag)
Ottmar Holzinger
(Ehemann von Daniela)
1873 zuletzt Regensburg Deportation 1942 (Theresienstadt) 16. Jan. 1944 — Theresienstadt. Bundesarchiv / lokale Stolperstein-Einträge.
Ilse Lauchheimer 1921 Deggendorf (Familie Lauchheimer) Deportiert 3. Apr. 1942 (im Rahmen der Aktionen 1942; Regensburg/Abtransport
in den Osten — Piaski u.ä. Transporte sind in den Chroniken erwähnt
Schicksal: ermordet (Gedenkbucheintrag; kein Überlebensnachweis) Alemannia-Judaica /Gedenkbuchhinweise /Stolperstein-Dokumentation
Julius (Isidor) Lauchheimer 1877 Deggendorf Angehöriger der Lauchheimer-Familie; deportiert 1942 (Familienkontext) wurde nicht überlebt (laut lokaler Gedenkdokumentation) Alemannia-Judaica /lokale Stolpersteininfo.
Klementine Lauchheimer, geb. Haas 1896 Deggendorf siehe Familien-Deportation 1942 Schicksal: ermordet / nicht zurückgekehrt (laut lokaler Dokumentation Alemannia-Judaica / Stolperstein-Liste.
Rosa Lauchheimer (ggf. geb. Neuburger) (Jg. nicht immer angegeben) Deggendorf in Familien-Verlustliste Deggendorf 1942 aufgeführt Schicksal: ermordet (kein Überlebensnachweis) Alemannia-Judaica /Stolperstein-Dokument
Emma Röderer, geb. Neuburger 1885 Deggendorf (Familienzugehörigkeit Roederer) Deportation / Eintrag im Gedenkbuch (Theresienstadt-Bezug in Aufzeichnungen) odesangaben in Gedenkbuch/Quellen verzeichnet. Bundesarchiv / lokale Dokumente
Leopold (Leo) Röderer 1876 Deggendorf Angehöriger; in lokalen Gedenklisten genannt (Familien-Deportation 1942) Schicksal: in den Gedenkbüchern verzeichnet (ermordet) Alemannia-Judaica / Gedenkbuch-Verweise.
Heinrich Scharf 1880 Deggendorf Deportation 03.04.1942 (im Transportkontext mit der Familie Scharf / Lauchheimer) — von Deggendorf/Regensburg in den Osten. Schicksal: ermordet (laut Gedenkbuch / lokale Infos) Alemannia-Judaica / Stolperstein-Liste Deggendorf.
Paula Scharf, geb. Schloss 1896 Deggendorf Deportation 03.04.1942 (gemeinsam mit Ehemann/Kind) Schicksal: nicht überlebt (in lokalen Gedenktexten dokumentiert). Stolperstein-Liste / lokale Gedenkseiten.
Regina Scharf 1931, Deggendorf — (Kind; ab 1937 im Kinderheim in München) 3. Apr. 1942 — zusammen mit Eltern in LKW nach Regensburg, dann Deportation in den Osten Schicksal: ermordet (laut lokaler Gedenkbuch-Info; Schicksal in Vernichtungslagern). Stolperstein-Liste Deggendorf / lokale Quellen
Gerda Moos, geb. Stern 1913 Deggendorf (in lokalen Opferlisten) In lokalen Opferverzeichnissen als Opfer der Shoa geführt (Deportationsdetails in
regionalen Akten)
Schicksal: ermordet (laut lokalen Recherchen).  


Es gibt Stolpersteine
für Julius Isidor & Klementine Lauchheimer, Emma & Leopold Röderer, Heinrich, Paula & Regina Scharf, die vor ihren letzten frei gewählten Wohnsitzen in Deggendorf verlegt wurden.
Zur Stadt Deggendorf gehört ein jüdischer Friedhof („Pandurenweg 10, 94469 Deggendorf“), auf den überwiegenden Personen beigesetzt sind, die in den Lagern der Displaced Persons nach Kriegsende verstorben sind, nicht notwendigerweise Deportierte mit bekannten Todesorten.

Schicksal der Sinti und Roma:

In Bayern im Allgemeinen – und auch in der Umgebung und größeren Städten – ist gut dokumentiert, wie die Verfolgung von Sinti und Roma funktioniert hat: systematische Erfassung, Ausgrenzung, Verfolgung, Deportation, Ermordung.
Verschiedene Artikel benennen Unsichtbarkeit und Diskriminierung auch nach 1945 als fortdauernde Realität für Sinti und Roma.

Schicksal der seelisch, geistig und körperlich Behinderten in Mainkofen / Deggendorf

Das Bezirksklinikum (ehemals Heil‑ und Pflegeanstalt) Mainkofen war ein Tatort dieser Verbrechen. Hier einige der bekannten Fakten:
In Mainkofen wurden etwa 1.300 Frauen, Männer und Kinder Opfer der NS‑„Euthanasie“. Opfer starben dort z. B. durch Hungerentzug, Vergiftung oder wurden später in Einrichtungen wie der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz vergast.

Am 28. Oktober 1940 fand der erste von fünf Transporte von Mainkofen zur Tötungsanstalt Hartheim statt. Insgesamt wurden 114 Pfleglinge in diesem ersten Transport überführt, und insgesamt 606 im Laufe dieser Transporte.
Auf dem Anstaltsfriedhof von Mainkofen gibt es heute eine Gedenkstätte, errichtet am 28. Oktober 2014, zur Erinnerung an diese Opfer.